Gaby Kutz – ARS POLITICA – Stadtmuseum Siegburg 2019
Dr. Gundula Caspary, Stadtmuseum Siegburg
Gaby Kutz befasst sich mit dem Thema der Erinnerung, mit der Frage, wie sich Erinnerung in der medialen Welt, in dem Wechsel von Bild und Abbild transportiert, und wie es sich im übergreifenden Wechsel der Generationen wandelt. Dabei greift die Künstlerin im Wesentlichen auf alte Fotografien sowie auf Abbildungen aus der Zeitung zurück, die im allgemeinen gesellschaftlichen Bewusstsein verankert sind. Zunächst widmete sie sich dabei privaten Motiven aus Familienalben vor allem aus den 50er bis 70er Jahren, auf Bildern, die sich im kollektiven Gedächtnis der Betrachter als eigene Erinnerungen wiederfinden, da sie einem (nirgendwo festgeschriebenen und doch gesellschaftsimmanenten) ikonographischen Kanon zum Habitus der dargestellten Personen entsprechen.
Seit einigen Jahren fängt die Künstlerin die Zeit (westeuropäisch-amerikanischer) politischer Begebenheiten seit den 1960er Jahren ein, die mit Motiven von Demonstranten oder Männern in Uniform die zeitgleiche Idylle des ersten Urlaubs an der Adria kontrastieren; das idealtypische des Persönlich-Privaten und das Revolutionäre des Öffentlich-Gesellschaftlichen, das gerade in der Zeit der 1960er so nah beieinander lag, erscheint in Kutz‘ Bildern wie zwei völlig disparate Bereiche, als handele es sich um verschiedene Welten, und doch sind beide in vertrauten, verinnerlichten Szenerien in unserem Erinnerungsspeicher verankert.
Inzwischen hat Gaby Kutz die politischen Werkgruppen vor allem zu Aspekten deutscher Geschichte und zu aktuellen politischen Themen in drei großen Themenzyklen elaboriert. Dabei legt sie ihren Fokus einerseits auf Momente von politischer Tragweite: Bildserien von den 68ern bis zu den Weltwirtschaftsgipfeln 2007 und 2017sowie aktuellere Szenen von der Flüchtlingsbewegung, politischen Attentaten und ökologischen Prozessen.
Besonders angetan haben es ihr Motive von Demonstrationen, in denen Bürger einer polizeilichen Staatsmacht gegenüber treten, um ihre (demokratischen) Rechte zum Protest gegen Missstände oder aus ihrer Sicht politische Fehlentscheidungen zu nutzen. Dabei geht es nicht um eine Heroisierung der Demonstranten oder Verurteilung der Polizei, sondern um das freiheitliche Potential friedlichen Protestes von Zivilisten. Allerdings stellen Bilder von sommerlich gekleideten Frauen, denen eine Übermacht schwer bewaffneter Polizisten (bei Protesten in Amerika) begegnet, oder von friedlichen Demonstranten an der Berliner Mauer kurz vor deren Fall bzw. im letzten Rest des Hambacher Forstes die Frage nach der Verhältnismäßigkeit von Polizeiaufgebot versus Bürgern, vor allem in einem deklarierten Rechtssaat. Freilich, das Recht auf (friedlichen) Protest und Demonstrationsfreiheit wird leider immer wieder von gewaltbereiten Brandstiftern missbraucht, womit die ehrlich politisch oder gesellschaftlich engagierten Bürger und ihre (berechtigten) Anliegen in Misskredit gebracht werden. In diesem Fall ist es die Polizei, die als Ordnungshüter einer rechtstaatlichen Gesellschaft dem Zwiespalt ausgesetzt ist, kritische Bürger von aggressiven Randalierern zu unterscheiden und das richtige Maß an Einmischung zu finden. Eine Aufgabe, die mit zunehmender Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft nicht einfacher wird und letztlich die Freiheit zur demonstrativen Meinungsäußerung gefährdet.
In diesem Kontext wirft die Künstlerin in einer weiteren Werkgruppe einen Blick auf einzelne Persönlichkeiten, Politiker und Freigeister, die in (heiß umstrittenen) politischen Ereignissen der letzten fünfzig Jahre eine besondere (demokratische) Rolle im und für das öffentliche Leben eingenommen haben. Die Auswahl der Portraitierten ist natürlich subjektiv, aber sie erfasst ein Spektrum von Personen, die zugleich einem kollektiven Gedächtnis immanent sind. Einem Gedächtnis, das, wie eingangs angedeutet, allzu schnell von immer neuen Ereignissen überschrieben und verändert wird. Längst sind die Erinnerungen an den Fall der Mauer, an die Zeit der Hippies und der RAF verblasst, es sei denn, sie werden als Marketing-Ikonen ihrer politischen Ideale und der Brutalität und Tragik ihrer eigentlichen Geschichte beraubt und verkauft. Die Bilder von Gaby Kutz dagegen wollen wiedererwecken, was wir allzu leicht vergessen. Sie wollen die Erinnerung an Gewesenes in ihrer Tiefe und Tragweite festhalten und dergestalt aus dem Zeitlichen heben, dass sie auch nach Jahren für uns wieder wirksam werden. Es gilt – gerade in einer Zeit, in der die westliche Demokratie und mit ihr die Einheit eines freiheitlichen Europas durch nationalistische und radikale Kräfte gefährdeter ist als je zuvor – das kollektive Gedächtnis wachzuhalten, um die Grundzüge der demokratischen Rechtsstaatlichkeit, ob friedlich oder hart umkämpf, durch wiederholtes Sehen nachhaltig im Bewusstsein zu verankern und selbst für sie Partei zu ergreifen. Es liegt im Ermessen des Betrachters, diesem inneren Aufruf zu folgen, oder die Bilder von Gaby Kutz „nur“ auf der anderen, der malerischen und ästhetischen Ebene der Erinnerung zu begreifen.
Dr. Gundula Caspary, Siegburg
© Dr. Gundula S. Caspary, Kunsthistorikerin
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