Dr. Andreas Graf
Ikonen: menschlich, analytisch, politisch: Über die Bilder von Gaby Kutz
Die Malerin Gaby Kutz betreibt mit ihren politischen Bildern ikonographische Archäologie: Verlorene Bilder, verlorene Augenblicke, die wir alle kennen, die aber in den Bilderfluten unserer Gegenwart versunken waren, holt sie hervor, hebt sie heraus, deutet sie. Wie schon ihre frühen Bilder (Konfirmandenausflug, Fernblicke oder Familienfest) eine Ikonographie des kleinbürgerlichen Alltags ihrer Generation gestalteten, den wir alle vergessen hatten, bei dessen Wieder- und Neusehen den Betrachter ein Deja-vue-Schauer überlaufen konnte, so sind ihre heutigen, politischen Bilder die Ergebnisse einer langwierigen, intensiv und aufwändig gestaltenden archäologischen Anstrengung, die der politischen Ikonographie der Bundesrepublik gilt und auch Generation den 68ern Nachgeborenen. Es sind Politiker-Bilder aus dem Großen (West-) Deutschen Bilderbuch, die viele von uns ebenso vergessen hatten wie die in den privaten Alben.
Diese Bilder gräbt Gaby Kutz aus, restauriert sie, arrangiert sie und stellt sie auf ihre Weise unserem kollektiven Gedächtnis neu zur Verfügung. Jetzt erst, mit den gestaltenden und auch umformenden – Ausgrabungsanstrengungen von Gaby Kutz, gelingt es uns im Neu- und Andersbetrachten des oft längst Vergessenen eine – vielleicht klarere -Haltung zu und eine wahre Kenntnis dieser einst gesehenen Bilder zu entwickeln. Jetzt erst, mit der malerischen Ausgrabungskampagne von Gaby Kutz, entfalten die politischen Bilder unseres kollektiven Unterbewussten die darin enthaltene politische (weniger: moralische) Wucht, die wir bis dahin vielleicht nur geahnt hatten und nun dank und mittels der malerischen Transformationen Kutz’, in unser denkendes, kritisches, bewertendes, mitfühlendes, mitleidendes Bewusstsein hineinholen können.
Kutz’ politische Bilder stellen insofern geradezu programmatische Gegenstücke dar zum Umgang etwa eines Andy Warhol mit bekannten photographischen Bildvorlagen mittels Blotteld-Line-Technik . Dessen vervielfältigende und vervielfältigte Arbeiten etwa vom Kölner Dom, von Marilyn Monroe, von Elvis oder Joseph Beuys, erweitern altbekannte Bildvorlagen, die längst Ikonen sind, überhöhen diese zu Hyper-Ikonen. Warhol stellt durch seine reproduzierende Vermassung die Massenhaftigkeit seiner Vorlagen aus und fest, macht sie als auf ein einziges Merkmal (Doppelspitze, platinblond, Haartolle, Hut) zurückgeführte Vermassungs- und Vermarktungsgüter bemerkbar und begreifbar.
Nicht so Kutz. Sie bedient sich eben gerade nicht an der Oberfläche der Populärkultur, um ihren Bildvorrat zu generieren. Sie schöpft behutsam und bedacht aus einem uns allen verborgenen Reservoir politischer Bilder und holt Szenen ans Licht – und zwar an ein neues Licht -, die wir, wie bei Warhol, alle kennen, von denen wir aber, anders als bei Warhol, gar nicht mehr wussten, dass wir sie alle kennen. Wenn dieser also Ikonen in die Massenkultur holt, dann macht Kutz uns durch ihre archäologische Malerinnentätigkeit erst klar, dass es sich eigentlich, bei richtigem Licht betrachtet, um bildliche Ikonen handelt. Ikonen, an denen als Zeitgenossen mutmaßlich vorbeigeschaut haben und deren bildprägende Gewalt, deren wahrnehmungsformende Kraft, deren politikmächtige Formation uns seinerzeit nicht bewusst geworden ist. Dies gelingt erst durch die Anstrengungen der Künstlerin. In diesem Sinne also schafft Gaby Kutz mit ihren Bildern politische Ikonen.
Nicht selten bieten die politischen Bilder von Gaby Kutz sozusagen „Familienaufstellungen“: Brandt und Schmidt rauchen gemeinsam; Brandt und Guillaume gehen zusammen an Schienen; Schmidt, Genscher, Brandt stehen zu Beratungen zusammen. Die Künstlerin überträgt damit auch ihr Interesse am Systemischen, das schon manche ihrer frühen Bilder prägt, auf die politische Sphäre. Kutz macht mit ihren Bildern das Politische auf eine neue Weise für uns sichtbar und erfahrbar, damit auch befragbar. Ihr Bild vom Kennedy-Besuch in Berlin versammelt drei Politiker, die ziemlich genau auch drei Generationen umfassen, fast als eine Art Boygroup, welche die in ihr versammelte Machfülle im offenen Cabrio fröhlich zu ignorieren scheint… Ein helles Gegenstück zu der tödlich-düsteren Cabrioszene, die sich uns allen eingebrannt hat und die kurze Zeit später in Dallas/ Texas stattfand.
Oder ihr Doppelportrait von Heinrich Böll und Petra Kelly: Wir sehen zwei generationenübergreifende Seelenverwandte, die zugleich, und das arbeitet Kutz mit frappierendem malerischen Gespür genau heraus, die vorhandene Distanz zwischen sich, die vielleicht eine von trotziger Härte und resignativer Nachgiebigkeit ist, nicht überbrücken können.
Oder Kutz’ „Sozialliberale Koalition“: Das Bild zeigt einen Genscher, der zwischen Schmidt und Brandt die politische Triade – sozial, liberal, demokratisch – innerlich längst verlassen hat. Die einst so erfolgreiche ‚Hochzeit’ ist schon geplatzt, Genschers leerer Blick meidet die beiden anderen, führt aus der Runde hinaus, in, wie man ahnt, politisch so ganz andere Welten.
Kutz’ Bilder sind auf eine unaufdringliche Weise analytisch. Ihre Intuition ermöglicht der Künstlerin das Finden oder Aufspüren der ursprünglichen ‚Bilder’, jener vagen fotografischen Anordnungen zu Ereignissen, aus denen Kutz’ gemalte Bilder erst entstehen. Mit dem malerischen Prozess setzt auch das Analytische ein: Welcher Blick wird uns geboten? Welcher Ausschnitt? Ihre Bilder sind nicht satirisch, nicht ironisch, sie sind nicht entlarvend, nicht verletzend, sie gerieren sich nicht in einem überkommenen Agitprop-Jargon (wie etwa Immendorf in den 70ern), sie karikieren nicht, sondern sie sind offen konzipiert; sie bieten ein Deutungsangebot, ein psychologisches, ein politisches, unter Umständen sogar ein psycho-analytisches (etwa die Bilder mit dem „falschen Freund“, bei deren Anblick den heutigen informierten Betrachter durchaus ein gelindes Gruseln zu überlaufen vermag). Aber letztlich überlassen sie dem Betrachter die Deutung, aber sie nötigen ihn auch emotional zu einer eigenen Stellungnahme. Man fragt sich nicht selten: Ist es wirklich das Bild, das ich auch im Kopf hatte? Was gibt meine Erinnerung her? Welche Haltung hatte oder habe ich dazu?
Zugleich sind die Bilder von Gaby Kutz Bilder einer Generation, der Generation der „Nach-68er“, die Mitte der 1970er bis in die 80er Jahre hinein politisiert wurde. Der ersten Generation mit einem leichten Abstand zu ’68, die aber manche der Folgen noch zu spüren bekam (RAF) oder mitgetragen hat (allgemeine gesellschaftliche Demokratisierung, Häuserkampf, Anti-Atomkraft-, Friedens-, Frauen- bzw. Männerbewegung u.v.m.). Für unsere unmittelbare Gegenwart entstehen auf diese Weise Bilder, die so nicht mehr im öffentlichen Bewusstsein waren, die aber, als geborgene Schätze, uns mit einer Möglichkeit von Politik konfrontieren, gegenwärtig vielleicht wieder aktueller ist denn je. Und ihre Bilder der Gegenwart (Flüchtlingskrise u.a.) atmen genau diese aus der analytischen Beschäftigung mit der vergessenen Vergangenheit entspringende Kraft. Und diese Kraft ist die eines unbefangenen und unbestechlichen Blicks auf das Individuum.
Und darin liegt auch das Politische in Gaby Kutz’ Kunst.
Zunächst sind es natürlich oft Politiker im politischen Handeln, in konkreten, historisch benennbaren oder im Bildtitel sogar ausdrücklich benannten Situationen, die abgebildet werden. Mit Kutz Bildern zu Massen- und Protestszenen entsteht malerisch ein Gegengewicht zu den Erstgenannten: Die Menge, die Demonstranten, das Volk, die Widerstandleistenden, die Polizisten werden in Aktion gezeigt. Immer wieder sieht man sich als Betrachter mit der Frage konfrontiert, wer denn nun Subjekt und wer Objekt des politischen „Willens“ sei. Kutz Demonstranten, Polizisten oder Flüchtlingen sind auch als „Viele“ klar erkennbar; eine Menge wird dargestellt, keine Masse. Kein Pathos, keine Verherrlichung in der malerischen Gestaltung, aber auch keine Verachtung, keine Verurteilung, keine intellektuelle Hochmütigkeit im Blick auf die Vielen, Hilflosen. Kutz’ Blick ist grundsätzlich ein empathischer, mitfühlender, neugieriger, der Interesse formuliert an den agierenden Einzelnen: der Menge, aber gleichermaßen der portraitierten Politiker. Insofern besteht zwischen beiden Sphären auch keine grundlegende Gegensätzlichkeit, eher ein konfrontatives Miteinander. Mein diesbezügliches Highlight: der einsame Demonstrant vor der abrückenden Menge, alles ist bereits geschehen, über der Szene liegt die Melancholie des Vergeblichen: vielleicht, vielleicht …
Drittens gibt es eine Gruppe Bilder, deren immanente politische Grundierung weniger selbstverständlich vor Augen steht. Denn wo wäre die politische Bedeutung einer erotisch-intim geschilderten Begegnung zweier Frauen, die eine deutlich älter, die andere ziemlich jung? Oder die eines Mannes und seiner kaum sichtbaren Ehefrau? Oder eines grinsenden Alten mit Häuptlingsschmuck? Doch wer so fragt, blendet eine zentrale Erkenntnis aus, die mit der 68er-Bewegung Gemeingut geworden ist: die Erkenntnis, dass auch das Private politisch ist. Jeder weiß das nur zu gut, der heute bewusst unverpacktes Obst kauft oder Pfand- statt Einwegflaschen. Denn natürlich ist es politisch höchst bedeutsam, wie Merkel und Timoschenko sich am bröckelnden Rand des politischen Europa begegnen, und selbstverständlich ist die Ausradierung der eigenen Ehefrau aus dem öffentlichen Leben Helmut Kohls ein entsetzliches und hässliches Politikum, und gewiss ist auch das kölsch-karnevalesk miss- bzw. als unverstanden gedeutete Geschenk der Indianerstämme Wisconsins an den deutschen Kanzler Adenauer 1956 ein transatlantisch-politisches Statement.
Viertens schließlich handelt es sich auch bei den ausdrücklich als Portraits bezeichneten Bildern von Gaby Kutz um politische Kunst, und zwar sowohl in ihrer Auswahl, sozusagen inhaltlich, als auch durch die spezifische Darstellungsweise. Und diese gehören zweifellos mit zu den stärksten in ihrem Werk.
Woher kennen wir Politikerportraits? Wir lernen sie bei zwei Gelegenheiten kennen: Den jeweiligen Bundespräsidenten als offizielle (fotografische) Amtszimmerverzierung, etwa im Standesamt, sowie, bei Bundeskanzlern, am Ende von deren Amtszeit, wenn sie für die Ahnengalerie im Kanzleramt in Öl verewigt werden. Kaum aber hatten wir als Publikum die Möglichkeit, Heiner Geißler in seiner (über-) reifen Verschmitztheit, Beate Klarsfeld so grüblerisch, Heinrich Böll so zart und verletzlich, Gudrun Meinhof – ganz besonders bewegend – so ratlos und erschrocken, oder Willy Brandt und Helmut Schmidt so zufrieden und in sich ruhend zu erleben wie auf den entsprechenden Portraits von Gaby Kutz. In diesen Bildern gelangt die politische Malerei von Gaby Kutz ganz zu sich selbst: Politisch oder privat erscheinen hier weniger denn je als angemessene Kategorien, vielmehr sind solche Fragen aufgehoben im zutiefst humanen und humanistisch geschulten Blick der Malerin auf das Geschehen. Humanismus dient ihr nicht als Forderung, als ethisch-kategorischer Imperativ, sondern ist das je einzelne Ergebnis der malerischen Exploration der politischen Sphäre durch die Künstlerin. Vielleicht ist dies eines der Geheimnisse der politischen Kunst von Gaby Kutz: Sie malt weit jenseits der Ideologien, sie hat alles falsche oder gar richtige Pathos weit hinter sich gelassen, all die Behauptungen, die Statements, die Forderungen und Verwünschungen. Sie gibt dem Politischen ein humanes Gesicht und sie macht das Humane als zutiefst politisch sichtbar. Gaby Kutz bietet mit ihren Bildern damit schon beinahe so etwas wie ein Identifikationsangebot für demokratische Wahrsucher. Aber das zu explizieren, stünde auf einem anderen Blatt.
Dr. Andreas Graf
Ikonen: menschlich, analytisch, politisch: Über die Bilder von Gaby Kutz
Die Malerin Gaby Kutz betreibt mit ihren politischen Bildern ikonographische Archäologie: Verlorene Bilder, verlorene Augenblicke, die wir alle kennen, die aber in den Bilderfluten unserer Gegenwart versunken waren, holt sie hervor, hebt sie heraus, deutet sie. Wie schon ihre frühen Bilder (Konfirmandenausflug, Fernblicke oder Familienfest) eine Ikonographie des kleinbürgerlichen Alltags ihrer Generation gestalteten, den wir alle vergessen hatten, bei dessen Wieder- und Neusehen den Betrachter ein Deja-vue-Schauer überlaufen konnte, so sind ihre heutigen, politischen Bilder die Ergebnisse einer langwierigen, intensiv und aufwändig gestaltenden archäologischen Anstrengung, die der politischen Ikonographie der Bundesrepublik gilt und auch Generation den 68ern Nachgeborenen. Es sind Politiker-Bilder aus dem Großen (West-) Deutschen Bilderbuch, die viele von uns ebenso vergessen hatten wie die in den privaten Alben.
Diese Bilder gräbt Gaby Kutz aus, restauriert sie, arrangiert sie und stellt sie auf ihre Weise unserem kollektiven Gedächtnis neu zur Verfügung. Jetzt erst, mit den gestaltenden und auch umformenden – Ausgrabungsanstrengungen von Gaby Kutz, gelingt es uns im Neu- und Andersbetrachten des oft längst Vergessenen eine – vielleicht klarere -Haltung zu und eine wahre Kenntnis dieser einst gesehenen Bilder zu entwickeln. Jetzt erst, mit der malerischen Ausgrabungskampagne von Gaby Kutz, entfalten die politischen Bilder unseres kollektiven Unterbewussten die darin enthaltene politische (weniger: moralische) Wucht, die wir bis dahin vielleicht nur geahnt hatten und nun dank und mittels der malerischen Transformationen Kutz’, in unser denkendes, kritisches, bewertendes, mitfühlendes, mitleidendes Bewusstsein hineinholen können.
Kutz’ politische Bilder stellen insofern geradezu programmatische Gegenstücke dar zum Umgang etwa eines Andy Warhol mit bekannten photographischen Bildvorlagen mittels Blotteld-Line-Technik . Dessen vervielfältigende und vervielfältigte Arbeiten etwa vom Kölner Dom, von Marilyn Monroe, von Elvis oder Joseph Beuys, erweitern altbekannte Bildvorlagen, die längst Ikonen sind, überhöhen diese zu Hyper-Ikonen. Warhol stellt durch seine reproduzierende Vermassung die Massenhaftigkeit seiner Vorlagen aus und fest, macht sie als auf ein einziges Merkmal (Doppelspitze, platinblond, Haartolle, Hut) zurückgeführte Vermassungs- und Vermarktungsgüter bemerkbar und begreifbar.
Nicht so Kutz. Sie bedient sich eben gerade nicht an der Oberfläche der Populärkultur, um ihren Bildvorrat zu generieren. Sie schöpft behutsam und bedacht aus einem uns allen verborgenen Reservoir politischer Bilder und holt Szenen ans Licht – und zwar an ein neues Licht -, die wir, wie bei Warhol, alle kennen, von denen wir aber, anders als bei Warhol, gar nicht mehr wussten, dass wir sie alle kennen. Wenn dieser also Ikonen in die Massenkultur holt, dann macht Kutz uns durch ihre archäologische Malerinnentätigkeit erst klar, dass es sich eigentlich, bei richtigem Licht betrachtet, um bildliche Ikonen handelt. Ikonen, an denen als Zeitgenossen mutmaßlich vorbeigeschaut haben und deren bildprägende Gewalt, deren wahrnehmungsformende Kraft, deren politikmächtige Formation uns seinerzeit nicht bewusst geworden ist. Dies gelingt erst durch die Anstrengungen der Künstlerin. In diesem Sinne also schafft Gaby Kutz mit ihren Bildern politische Ikonen.
Nicht selten bieten die politischen Bilder von Gaby Kutz sozusagen „Familienaufstellungen“: Brandt und Schmidt rauchen gemeinsam; Brandt und Guillaume gehen zusammen an Schienen; Schmidt, Genscher, Brandt stehen zu Beratungen zusammen. Die Künstlerin überträgt damit auch ihr Interesse am Systemischen, das schon manche ihrer frühen Bilder prägt, auf die politische Sphäre. Kutz macht mit ihren Bildern das Politische auf eine neue Weise für uns sichtbar und erfahrbar, damit auch befragbar. Ihr Bild vom Kennedy-Besuch in Berlin versammelt drei Politiker, die ziemlich genau auch drei Generationen umfassen, fast als eine Art Boygroup, welche die in ihr versammelte Machfülle im offenen Cabrio fröhlich zu ignorieren scheint… Ein helles Gegenstück zu der tödlich-düsteren Cabrioszene, die sich uns allen eingebrannt hat und die kurze Zeit später in Dallas/ Texas stattfand.
Oder ihr Doppelportrait von Heinrich Böll und Petra Kelly: Wir sehen zwei generationenübergreifende Seelenverwandte, die zugleich, und das arbeitet Kutz mit frappierendem malerischen Gespür genau heraus, die vorhandene Distanz zwischen sich, die vielleicht eine von trotziger Härte und resignativer Nachgiebigkeit ist, nicht überbrücken können.
Oder Kutz’ „Sozialliberale Koalition“: Das Bild zeigt einen Genscher, der zwischen Schmidt und Brandt die politische Triade – sozial, liberal, demokratisch – innerlich längst verlassen hat. Die einst so erfolgreiche ‚Hochzeit’ ist schon geplatzt, Genschers leerer Blick meidet die beiden anderen, führt aus der Runde hinaus, in, wie man ahnt, politisch so ganz andere Welten.
Kutz’ Bilder sind auf eine unaufdringliche Weise analytisch. Ihre Intuition ermöglicht der Künstlerin das Finden oder Aufspüren der ursprünglichen ‚Bilder’, jener vagen fotografischen Anordnungen zu Ereignissen, aus denen Kutz’ gemalte Bilder erst entstehen. Mit dem malerischen Prozess setzt auch das Analytische ein: Welcher Blick wird uns geboten? Welcher Ausschnitt? Ihre Bilder sind nicht satirisch, nicht ironisch, sie sind nicht entlarvend, nicht verletzend, sie gerieren sich nicht in einem überkommenen Agitprop-Jargon (wie etwa Immendorf in den 70ern), sie karikieren nicht, sondern sie sind offen konzipiert; sie bieten ein Deutungsangebot, ein psychologisches, ein politisches, unter Umständen sogar ein psycho-analytisches (etwa die Bilder mit dem „falschen Freund“, bei deren Anblick den heutigen informierten Betrachter durchaus ein gelindes Gruseln zu überlaufen vermag). Aber letztlich überlassen sie dem Betrachter die Deutung, aber sie nötigen ihn auch emotional zu einer eigenen Stellungnahme. Man fragt sich nicht selten: Ist es wirklich das Bild, das ich auch im Kopf hatte? Was gibt meine Erinnerung her? Welche Haltung hatte oder habe ich dazu?
Zugleich sind die Bilder von Gaby Kutz Bilder einer Generation, der Generation der „Nach-68er“, die Mitte der 1970er bis in die 80er Jahre hinein politisiert wurde. Der ersten Generation mit einem leichten Abstand zu ’68, die aber manche der Folgen noch zu spüren bekam (RAF) oder mitgetragen hat (allgemeine gesellschaftliche Demokratisierung, Häuserkampf, Anti-Atomkraft-, Friedens-, Frauen- bzw. Männerbewegung u.v.m.). Für unsere unmittelbare Gegenwart entstehen auf diese Weise Bilder, die so nicht mehr im öffentlichen Bewusstsein waren, die aber, als geborgene Schätze, uns mit einer Möglichkeit von Politik konfrontieren, gegenwärtig vielleicht wieder aktueller ist denn je. Und ihre Bilder der Gegenwart (Flüchtlingskrise u.a.) atmen genau diese aus der analytischen Beschäftigung mit der vergessenen Vergangenheit entspringende Kraft. Und diese Kraft ist die eines unbefangenen und unbestechlichen Blicks auf das Individuum.
Und darin liegt auch das Politische in Gaby Kutz’ Kunst.
Zunächst sind es natürlich oft Politiker im politischen Handeln, in konkreten, historisch benennbaren oder im Bildtitel sogar ausdrücklich benannten Situationen, die abgebildet werden. Mit Kutz Bildern zu Massen- und Protestszenen entsteht malerisch ein Gegengewicht zu den Erstgenannten: Die Menge, die Demonstranten, das Volk, die Widerstandleistenden, die Polizisten werden in Aktion gezeigt. Immer wieder sieht man sich als Betrachter mit der Frage konfrontiert, wer denn nun Subjekt und wer Objekt des politischen „Willens“ sei. Kutz Demonstranten, Polizisten oder Flüchtlingen sind auch als „Viele“ klar erkennbar; eine Menge wird dargestellt, keine Masse. Kein Pathos, keine Verherrlichung in der malerischen Gestaltung, aber auch keine Verachtung, keine Verurteilung, keine intellektuelle Hochmütigkeit im Blick auf die Vielen, Hilflosen. Kutz’ Blick ist grundsätzlich ein empathischer, mitfühlender, neugieriger, der Interesse formuliert an den agierenden Einzelnen: der Menge, aber gleichermaßen der portraitierten Politiker. Insofern besteht zwischen beiden Sphären auch keine grundlegende Gegensätzlichkeit, eher ein konfrontatives Miteinander. Mein diesbezügliches Highlight: der einsame Demonstrant vor der abrückenden Menge, alles ist bereits geschehen, über der Szene liegt die Melancholie des Vergeblichen: vielleicht, vielleicht …
Drittens gibt es eine Gruppe Bilder, deren immanente politische Grundierung weniger selbstverständlich vor Augen steht. Denn wo wäre die politische Bedeutung einer erotisch-intim geschilderten Begegnung zweier Frauen, die eine deutlich älter, die andere ziemlich jung? Oder die eines Mannes und seiner kaum sichtbaren Ehefrau? Oder eines grinsenden Alten mit Häuptlingsschmuck? Doch wer so fragt, blendet eine zentrale Erkenntnis aus, die mit der 68er-Bewegung Gemeingut geworden ist: die Erkenntnis, dass auch das Private politisch ist. Jeder weiß das nur zu gut, der heute bewusst unverpacktes Obst kauft oder Pfand- statt Einwegflaschen. Denn natürlich ist es politisch höchst bedeutsam, wie Merkel und Timoschenko sich am bröckelnden Rand des politischen Europa begegnen, und selbstverständlich ist die Ausradierung der eigenen Ehefrau aus dem öffentlichen Leben Helmut Kohls ein entsetzliches und hässliches Politikum, und gewiss ist auch das kölsch-karnevalesk miss- bzw. als unverstanden gedeutete Geschenk der Indianerstämme Wisconsins an den deutschen Kanzler Adenauer 1956 ein transatlantisch-politisches Statement.
Viertens schließlich handelt es sich auch bei den ausdrücklich als Portraits bezeichneten Bildern von Gaby Kutz um politische Kunst, und zwar sowohl in ihrer Auswahl, sozusagen inhaltlich, als auch durch die spezifische Darstellungsweise. Und diese gehören zweifellos mit zu den stärksten in ihrem Werk.
Woher kennen wir Politikerportraits? Wir lernen sie bei zwei Gelegenheiten kennen: Den jeweiligen Bundespräsidenten als offizielle (fotografische) Amtszimmerverzierung, etwa im Standesamt, sowie, bei Bundeskanzlern, am Ende von deren Amtszeit, wenn sie für die Ahnengalerie im Kanzleramt in Öl verewigt werden. Kaum aber hatten wir als Publikum die Möglichkeit, Heiner Geißler in seiner (über-) reifen Verschmitztheit, Beate Klarsfeld so grüblerisch, Heinrich Böll so zart und verletzlich, Gudrun Meinhof – ganz besonders bewegend – so ratlos und erschrocken, oder Willy Brandt und Helmut Schmidt so zufrieden und in sich ruhend zu erleben wie auf den entsprechenden Portraits von Gaby Kutz. In diesen Bildern gelangt die politische Malerei von Gaby Kutz ganz zu sich selbst: Politisch oder privat erscheinen hier weniger denn je als angemessene Kategorien, vielmehr sind solche Fragen aufgehoben im zutiefst humanen und humanistisch geschulten Blick der Malerin auf das Geschehen. Humanismus dient ihr nicht als Forderung, als ethisch-kategorischer Imperativ, sondern ist das je einzelne Ergebnis der malerischen Exploration der politischen Sphäre durch die Künstlerin. Vielleicht ist dies eines der Geheimnisse der politischen Kunst von Gaby Kutz: Sie malt weit jenseits der Ideologien, sie hat alles falsche oder gar richtige Pathos weit hinter sich gelassen, all die Behauptungen, die Statements, die Forderungen und Verwünschungen. Sie gibt dem Politischen ein humanes Gesicht und sie macht das Humane als zutiefst politisch sichtbar. Gaby Kutz bietet mit ihren Bildern damit schon beinahe so etwas wie ein Identifikationsangebot für demokratische Wahrsucher. Aber das zu explizieren, stünde auf einem anderen Blatt.