Aufmarsch in Hamburg

Hanne Schweitzer: Kein Durchkommen

In der Freien und Hansestadt Hamburg findet rund um den 07.07.2017 der größte Polizeieinsatz in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte statt. Der Anlass dafür ist ein informelles Stelldichein von PolitikerInnen aus aller Welt, das sogenannte „Gipfeltreffen der 20“. Überall da, wo diese Treffen stattfinden, lösen sie Proteste der Bevölkerung aus. Anfang Juli wird von der Versammlungsbehörde für die beiden Tage des Gipfeltreffens, dem 7. Und 8. Juli eine Verfügung erlassen, die das Demonstrationsverbot auf 38 Quadratkilometern Hamburgs außer Kraft setzt. Auf dem Bild von Gabi Kutz ist davon nichts zu sehen. Stattdessen bewegen sich aus allen Ecken Uniformierte in geschlossener Formation oder im lockeren Verbund am Blick des Betrachtenden vorbei, wie ein kollektiver, gesichtsloser Körper, auf den linken (!) unteren Bildrand zu. Das wirkt wie ein Still aus einem futuristischen Film.

Kein geografischer Ort. Auf vier horizontalen Bildebenen finden sich Motive die, variiert in Größe und/oder Farbe, von Kutz wiederholt werden. So sind am oberen Bildrand links und rechts Teile eines Gebäudes zu sehen, an dem ein Gerüst befestigt ist. Leicht versetzt wird der untere Teil eines Eckhauses mit gerundeter Fassade angedeutet. Keine Straßenflucht ist einsehbar weil kleine oder größere Uniformierte den Blick verstellen. Kein Himmel, keine Sonne, keine Schatten.

Städtische Attribute wie Passanten, Straßenlaternen, Geschäfte, Ampeln und Autos fehlen. Trotzdem gelingt es Kutz auf der zweiten Bildebene durch die Vergrößerung und Dopplung der oben nur angedeuteten Hausfassade, den Eindruck von Stadt, ja von Großstadt zu erwecken. Wie die Bugs von gigantischen Kreuzfahrtschiffen ragen zwei  identische Bauwerke in die Bildmitte hinein. Sie scheinen den Uniformierten zu folgen. Am linken Bildrand wiederholt sich, perspektivisch leicht versetzt, die eingerüstete Fassade aus der obersten Ebene. Sie hat das gleiche Blau wie ihr kleineres Pendant rechts oben und zieht, weil sie höher ist, den Blick in die dritte Bildebene.

Da wimmelt es nur so von Uniformierten. Als ob Zeit vergangen wäre, haben sich hinten weitere Uniformträger angeschlossen und weiter vorne neue hinzugesellt. Kutz verstärkt diesen Eindruck von Masse noch dadurch, dass sie alle ein Stück näher an den Bildrand rücken lässt. Auch verzichtet sie auf der untersten Ebene auf jedes Gebäude.

Mittig fallen zwei kleine blaue Figuren ins Auge. Erst auf den zweiten Blick sieht man, dass sie ebenfalls Uniformen tragen. Wie ihr Pendant aus der obersten Ebene schaut die eine Figur in die der Marschrichtung des Trupps entgegengesetzte Richtung. Der Oberkörper ist halb weggedreht, die Beine und Füße sind noch unentschlossen. Die Straßenflucht wird nicht wie zuvor von Uniformierten verdeckt. Hat die blaue Figur dort eine Gefahr entdeckt? Will sie sich davonmachen?

Die verschiedenen Ebenen der Bildkomposition verbindet Kutz durch einen Uniformträger, der alle anderen mehr als haushoch überragt. Er ist so groß, dass sich seine Füße in der untersten, sein Rumpf in der zweiten und dritten Ebene und sein behelmtes Profil in der obersten Ebene befinden. Seine herausragende Position wird zusätzlich durch eine andere Farbgebung betont. Diese findet sich, deutlich abgeschwächt, bei seinen sehr viel kleineren, zum Teil bis auf Helm und Schulter reduzierten Pendants am rechten, linken und unteren Bildrand wieder.

Das Werk vermittelt wenig Zuversicht. Die Gefahr muss sehr groß sein. Kein Körperteil der Uniformierten, das nicht mit Protektoren versehen ist: Der Nacken, die Schultern, Ober- und Unterarme, Ellbogen, Handgelenke, Brust, Rücken und Hoden, Knie, Schienbein und Sprunggelenk, der Helm hat ein Visier und und eine Atemmaske. Das Geschlecht der Uniformierten ist nicht mehr zu erkennen. Gespenstisch. Biomasse.

Im Mai 2017 hat der Hamburger Innensenator Andy Grote den G20-Gipfel als „Festival der Demokratie“ aber auch als „ein Schaufenster moderner Polizeiarbeit“ angekündigt. Kutz hat beides in einem Werk dargestellt. Die Demokratie und die moderne Polizeiarbeit.